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- Wiederkunft Christi: nicht Flucht, sondern Vollendung
Wie verstehen wir Heil? Die Frage hat der Stammapostel nicht nur im Pfingstgottesdienst angesprochen, sondern zuvor schon in der Bezirksapostelversammlung. Worum geht es? So lautet die Frage im ersten Teil des Jahresinterviews 2021.
Stammapostel Schneider, in Ihren Ausführungen zum Heilsverständnis der Neuapostolischen Kirche haben Sie in der Bezirksapostelversammlung gesagt, dass der regelmäßige Gottesdienstbesuch Ihrer Ansicht nach dazu gehört. Was meinen Sie genau damit?
Ich sehe es als meine Verantwortung an, die neuapostolischen Gläubigen feierlich daran zu erinnern, dass die Teilnahme am Gottesdienst ein wesentlicher Bestandteil unserer Vorbereitung auf die Wiederkunft Jesu ist. Sich bewusst und regelmäßig dem Gottesdienstbesuch zu entziehen, obwohl wir zur Kirche kommen könnten, kann unserem Heil abträglich sein.
Was genau bedeutet denn Heil?
Der Begriff „Heil“ umfasst sehr unterschiedliche Aspekte. Davon zeugt das reichhaltige Vokabular, das die Bibel verwendet. Altes und Neues Testament sprechen von Befreiung, Errettung, Bewahrung, Vergebung, Sieg oder auch von Erlösung. Diese Vielschichtigkeit zeigt sich auch in der Art und Weise, wie Christen, auch in unserer Kirche, das Heil verstanden haben. Je nach Zeit und Ort, in denen sie lebten, betonten sie den Aspekt des Heils, der ihren Erwartungen am besten entsprach. Das gleiche Phänomen zeigt sich heute: Je nach Situation sehen unsere Glaubensgeschwister das Heil vor allem als Befreiung von Leid, als ein Mittel, einer Bedrohung zu entfliehen oder auch als Möglichkeit, einen geliebten Menschen wiederzusehen.
Ist das so falsch?
Nein, natürlich nicht, aber es sind nur Teilaspekte. Wir brauchen ein klares Gesamtbild und dürfen das Wesentliche nicht aus dem Blick verlieren: den Willen und das Wirken Jesu Christi, unseres Heilands und Erlösers. Gott ist unser Heil!
Was heißt das konkret?
Nehmen wir unseren Glauben an die Wiederkunft Christi. In unserer Kirche gab es Zeiten, in denen die Wiederkunft des Herrn vor allem als Befreiung und Bewahrung gesehen wurde:
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Der Herr kommt wieder, um uns aus Leiden zu befreien.
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Er wird uns vor der großen Trübsal bewahren, also der Zeit, in der das Böse seinen Höhepunkt auf dieser Erde erreichen wird.
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Diejenigen, die an der Ersten Auferstehung teilhaben werden, müssen beim Endgericht nicht vor Gott erscheinen.
Um von Christus bei seiner Wiederkunft angenommen zu werden, wurden die Gläubigen ermahnt, die Sakramente zu empfangen und dem Apostolat treu zu bleiben. Diese Erkenntnis ist immer noch gültig.
Aber?
Es empfiehlt sich, den gesamten Kontext des Evangeliums zu verstehen. Die Konzentration auf Befreiung und Bewahrung als die einzigen Aspekte birgt nämlich einige Risiken:
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Der Gläubige könnte versucht sein, sich von der Außenwelt abzuschotten – ihm ist es dann nur wichtig, treu zu bleiben, damit er vor dem Leiden bewahrt wird und der vorausgesagten Katastrophe entkommt. Das Schicksal der Mitmenschen gerät für ihn dadurch in den Hintergrund.
- Die Missionsarbeit ist nicht mehr allein durch die Liebe zum Nächsten motiviert, sondern durch den Wunsch, so schnell wie möglich den irdischen Leiden zu entkommen: „Der Herr wird kommen, wenn die letzte Seele versiegelt ist.“
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Die Sakramente können als Selbstzweck missverstanden werden – als garantiere ihr Empfang bereits das Heil.
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Das Leben auf der Erde wird negativ dargestellt – die Erde ist dann ein Ort der Leiden, dem es so schnell wie möglich zu entfliehen gilt.
Was sollte stattdessen im Mittelpunkt stehen?
Wenn Jesus Christus vom Heil sprach, verwendete er oft den Begriff „ewiges Leben“. Damit verhieß der Herr den gläubigen Menschen die Gemeinschaft mit Gott in seinem Reich. Das Neue Testament verwendet das Bild von Braut und Bräutigam oder spricht vom Hochzeitsmahl, um diese Gemeinschaft zu beschreiben. Dort, im Reich Gottes, werden die Erlösten ewig und in vollkommener Harmonie mit Gott leben. Sie werden ihn in Ewigkeit anbeten und preisen und unaufhörlich neue Aspekte der Herrlichkeit Gottes entdecken.
Das klingt jetzt sehr romantisch – ein neues Leben in Harmonie!
So sagt es die Schrift. Außerdem besteht für Romantik kein Anlass. Denn der Herr hat auch Bedingungen verdeutlicht, die wir erfüllen müssen, um Zugang zum ewigen Leben zu haben: Wir müssen an Jesus Christus glauben, wiedergeboren sein aus Wasser und Geist und Christi Leib und Blut empfangen. Diese Voraussetzungen sind notwendig, aber nicht ausreichend.
Zwar gibt uns der Empfang der Sakramente die Möglichkeit, in die ewige Gemeinschaft mit Gott zu gelangen, garantiert uns aber nicht endgültigen Zugang. Wir müssen uns intensiv auf die Wiederkunft Jesu vorbereiten. Diese Vorbereitung besteht darin, uns von Gott heiligen zu lassen. Wenn wir den Heiligen Geist in uns wirken lassen, reinigt er uns, gibt uns die Kraft, der Sünde zu widerstehen und lehrt uns, dem zu entsagen, was uns von Gott trennt.
Neuapostolische Christen warten also nicht allein deshalb auf die Wiederkunft des Herrn, um von dieser Erde zu entfliehen. Sie sehen ihre irdische Existenz nicht notwendigerweise als ein Jammertal, zu dessen Durchschreiten sie verurteilt sind – was sie wollen, ist, auf ewig mit Gott zu leben. Ihr Leben auf Erden ist eine Gnadenzeit, die Gott ihnen gewährt, damit sie sich in Freud und Leid auf die ewige Gemeinschaft mit ihm vorbereiten können. Für sie ist die erste Auferstehung nicht ein Entfliehen, sie ist Vollendung!
Was hat das mit unserem Verhältnis zu unseren Mitmenschen zu tun?
Das Neue Testament sagt sehr deutlich, dass das göttliche Leben untrennbar mit der Liebe zum Nächsten verbunden ist. Jesus legt auf die Nächstenliebe genauso viel Wert wie auf die Liebe zu Gott. Er betet für das Einssein seiner Gemeinde, er fordert die Jünger auf, sich gegenseitig zu lieben und einander zu dienen. Apostel Paulus verwendet in Römer 12,4.5 das Bild des Leibes Christi, dessen Glieder eng mit Christus verbunden und untereinander solidarisch sind.
Sich also auf die ewige Gemeinschaft mit Gott vorzubereiten, bedeutet auch, in Gemeinschaft mit anderen zu leben. In Harmonie miteinander zu leben, schaffen die Menschen nicht aus sich selbst heraus, sie müssen zuerst eine neue Kreatur in Christus werden, erfüllt von Gottes Liebe und geleitet vom Heiligen Geist. Und heute müssen wir lernen, in dieser Gemeinschaft miteinander zu leben! Die Vorbereitung auf das ewige Leben erfolgt nicht im Alleingang. Sie macht nur Sinn, wenn sie in der Versammlung derer stattfindet, die die ewige Gemeinschaft mit Gott anstreben.
Also spielt der Gottesdienst eine wichtige Rolle.
Ja! Durch die Teilnahme am Gottesdienst stärkt der Gläubige zunächst seine persönliche Beziehung zu Gott. Er macht sich die Mühe, sich körperlich und geistig aus seinem Alltag herauszulösen, um Gott zu begegnen. Die vom Heiligen Geist inspirierte Predigt stärkt seinen Glauben an die baldige Wiederkunft Jesu Christi. Im Beten des Vaterunsers drückt er seinen Wunsch aus, in Gemeinschaft mit Gott zu sein: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe“. Die Freisprache befreit ihn von der Last seiner Sünden. Die würdige Teilnahme am Abendmahl stärkt seine Hoffnung und nährt das göttliche Leben, das er bei der Wiedergeburt empfangen hat.
Die Teilnahme am Gottesdienst bereitet den Gläubigen jedoch auch darauf vor, in der Gemeinschaft der Heiligen im Reich Gottes zu leben. Indem der Gläubige zum Gottesdienst kommt, beweist er, welche Bedeutung er seiner Beziehung zu Gott beimisst: Er will nun mit Menschen zusammenkommen, die er sich nicht für die Begegnung mit Gott ausgesucht hat. Sein Wunsch, Gott zu loben und anzubeten, sein Bedürfnis, mit Gott zu kommunizieren und bei ihm zu sein, ist so stark, dass er sich mit Menschen zusammenfindet, mit denen er sonst vielleicht niemals Umgang gepflegt hätte.
Ferner gibt ihm die Begegnung mit Brüdern und Schwestern die Möglichkeit, sich für andere zu interessieren, ihre Freuden und Sorgen zu teilen. Und da niemand vollkommen ist, ermöglicht das Gemeindeleben den Gläubigen zu lernen, einander zu vergeben, sich zu versöhnen und ihre Differenzen zu überwinden.
Wenn der Gläubige in die Gemeinde kommt, nimmt er wahr, dass Gott zu allen Anwesenden die gleiche Botschaft spricht – Gott benutzt das gleiche Wort, um die Gläubigen in ganz unterschiedlichen Situationen zu stärken. Diese einfache Beobachtung lässt die Kraft und die Wirksamkeit der Verkündigung des Evangeliums erahnen. Indem die Gläubigen gemeinsam und laut „Vergib uns unsere Sünden“ beten, bekennen sie öffentlich, dass sie alle ausnahmslos der Gnade bedürfen.
Und aus dem Gemeinschaftsgedanken ergeben sich dann auch Konsequenzen für den Umgang mit Sakramentsfeiern in Online-Gottesdiensten.
Der Empfang des Heiligen Abendmahls ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Vorbereitung auf die Wiederkunft des Herrn. Die heilsbringende Wirkung des Sakraments ergibt sich nicht allein aus dem Empfang der konsekrierten Hostie, sondern aus der Abendmahlsfeier als Ganzes. Das Abendmahl ist ausdrücklich auch Gemeinschaftsmahl: Gemeinschaft Christi mit den Gläubigen, aber auch Gemeinschaft der Gläubigen untereinander. Diese Wirkungen bringt das Abendmahl hervor, wenn der Gläubige die ordnungsgemäß konsekrierte Hostie aus den Händen eines Apostels oder eines von ihm beauftragten Amtsträgers und in Gegenwart der Gemeinde empfängt.
Bei der Einsetzung des Abendmahls brach der Herr das Brot und gab es den Aposteln. Er gab ihnen einen mit Wein gefüllten Kelch und bat sie, ihn unter sich zu teilen. Heute ist es ein priesterlicher Amtsträger, der die ausgesonderte Hostie an die Gläubigen austeilt. Aber wenn wir gemeinsam das Abendmahl feiern, kann jeder von uns sehen, dass der Herr alle anderen auf die gleiche Weise willkommen heißt, ihnen die gleiche Liebe bezeugt und ihnen genau dasselbe gibt, was er uns gibt. Diese Erfahrung ist eine wunderschöne Vorbereitung auf das Hochzeitsmahl des Lammes.
Während der Pandemie mussten wir neue Wege finden, um den Gläubigen zu ermöglichen, die Predigt zu hören und die Freisprache zu empfangen. Virtuelle Gottesdienste bieten unleugbar viele Vorteile, aber sie haben nicht die gleiche heilsbringende Wirkung wie ein Gottesdienst in personaler Anwesenheit. Die Erfahrung der Gemeinschaft ist ein wesentlicher Bestandteil der Vorbereitung der Braut. Ebenso kann der Empfang einer konsekrierten Hostie in Abwesenheit des priesterlichen Amtsträgers und der Gemeinde nicht die gleiche heilsbringende Wirkung haben wie die Feier des Abendmahls in der Gemeinde.
Allein aus diesen Gründen schon lade ich alle neuapostolischen Glaubensgeschwister ein, am personalen Gottesdienstbesuch festzuhalten – wenn das wieder möglich wird. Natürlich bin ich mir bewusst, dass dies vielen gar nicht möglich ist. Ich weiß um viele Glaubensgeschwister, die wegen Krankheit oder Alter die Gemeindegottesdienste vor Ort nicht besuchen können. Sie können sich der Fürsorge Gottes gewiss sein. Wir beten füreinander!
Der zweite wichtige Punkt auf der Tagesordnung der ersten Bezirksapostelversammlung in diesem Jahr war die Beratung zum Thema Frauenordination. Wo steht die Neuapostolische Kirche in diesem Prozess, welche Entscheidungen sind bereits gefallen, wie wird die Diskussion weitergehen? Die Antworten dazu werden wir in der kommenden Woche veröffentlichen.
3. Juni 2021